Oktober 01, 2015

Hiroshima - der erste Tag

Mittwoch vormittag verlegte ich meinen Standort von Shin-Yamaguchi ein kleines Stück zurück nach Osten, nach Hiroshima. Das dauert mit dem flotten Nozomi eine knappe halbe Stunde für 130 km, also keine große Aktion. 



Hiroshima ist wenigstens im Gegensatz zu Tokyo nach meinem Eindruck richtig übersichtlich, so dass es auch überhaupt kein Problem war, zum Hotel zu finden, abgesehen davon, dass mich mein Kollege schon mit Anweisungen versorgt hatte, welchen Ausgang vom Bahnhof ich nehmen sollte, um zur Straßenbahn zu gelangen, welche Linien die richtigen seien und wie in Hiroshima das Straßenbahnsystem funktioniert. Der ÖPNV hat ja überall seine eigenen Tücken. Dahingehend fand ich auch das Busfahren nach Hagi recht spannend. Ich hatte mir dafür ja ein Ticket am Schalter besorgt, dass ich am Ende der Fahrt einfach beim Fahrer abgab, aber theoretisch kann man auch im Bus bezahlen. Das Bezahlen erfolgt im Gegensatz zu unserem System auch erst beim Aussteigen. Ganz durchschaut habe ich es zwar nicht bzw nicht mitbekommen, ob sich die Leute vorne beim Fahrer aus einem Automaten ein kleines Märkchen oder ähnliches ziehen müssen, aber es gibt beim Fahrer eine Anzeige, die von Haltestelle zu Haltestelle immer ein Feld weiterspringt und den Fahrpreis anzeigt. Wenn man bei der ersten Haltestelle einsteigt, ist es ja noch übersichtlich, dann zahlt man einfach beim Aussteigen den aktuell angezeigten Preis, der dann an der ersten Stelle steht, aber was, wenn man unterwegs irgendwo zugestiegen ist. Muss man sich dann merken, an welcher Haltestelle das war und die Preisdifferenz selbst kalkulieren? In Hiroshima war es jedenfalls ganz einfach. Der innerstädtische Bereich ist eine Zone und egal wo man ein- oder aussteigt und wohin man fährt, man zahlt immer das gleiche, nämlich 160 Yen. Und der Preis ist ebenfalls beim Aussteigen zu entrichten. Es gibt einen Eingang und einen Ausgang und alle müssen am Schaffner vorbei. Entweder sie halten ihre elektronischen Fahrkarten an den Leser oder werfen ein paar Münzen in ein Zählgerät. Das kann dann schon mal ein bisschen dauern, vor allem an der Endhaltestelle. Aber so fand ich schnell den Weg ins Hotel, praktischerweise ganz nah an einer der Straßenbahnhaltestellen, gab meinen Koffer ab und machte mich gleich weiter Richtung Memorial Park und Friedensmuseum. Dabei kam ich auch noch am „Oktoberfest“ vorbei. Wie schön, diese Art des kulturellen Austauschs scheint ja wirklich prima zu funktionieren.




Mittags zog es sich schon zu und wurde ziemlich grau, aber regnen sollte es noch nicht, (leider) erst am folgenden Tag. Der graue Himmel passte stimmungsmäßig allerdings ganz gut zum Thema und ich hielt mich doch auch länger als gedacht in dem großen Gelände auf. Schon wirklich beeindruckend, diese Anlage mit den vielen Denkmälern und dem Atomic Bomb Dome, der ja nicht wirklich ein Dom ist bzw. war. Mich hat, obwohl es natürlich doch ganz anders aussieht, vielleicht auch wegen des Themas, die Kulisse am Flussufer auch ein wenig an Dresden erinnert. Vor allem am Abend, als das Licht blau wurde und die Ruine angestrahlt dort stand. Es ist halt auch ein Kuppelbau, der nah an einem Fluss steht. Interessanterweise hat es wohl auch in Hiroshima lange Diskussionen gegeben, was mit diesem Gebäuderest geschehen soll, Totalabriss oder Wiederaufbau, bis man sich dann entschlossen hatte, die Ruine als Mahnmal stehen zu lassen. Das ist es halt auch, was wohl auf immer mit Hiroshima verbunden sein wird, vielleicht noch eher als mit dem Namen Nagasaki und sicherlich gibt es in dieser Stadt weit mehr als dieses Gelände, den Shukkei-en Garten und den wieder aufgebauten Turm der Karpfenburg, die ich dann Samstag noch besuchen sollte, aber dessentwegen und wegen der anderen nahegelegenen Ziele (Miyajima), dessen Anlagen ebenfalls zum Weltkulturerbe zählen, war ich ja schließlich gekommen. Wie auch die vielen nicht japanischen Touristen, die hier im Gegensatz zu den vorangegangenen Tagen unterwegs waren. Im Friedensmuseum dann die Bilder zu sehen, wie die Mauern dieses „Doms“ noch inmitten von nichts standen (wohl stehen geblieben, weil genau mittig unter der Bombenexplosion), erinnerte mich irgendwie auch an Bilder vom Kölner Dom im zweiten Weltkrieg, wobei das Ausmaß der Zerstörung im Fall von Hiroshima ja nicht wirklich vergleichbar bzw etwas völlig anderes war. Aber überhaupt, dieses Friedensmuseum. Gleich am Eingang Fotos der Explosion, zufällig gemacht aus unterschiedlichen Entfernungen und ein Raum, wohl des „Doms“, hinter dessen Fenster Bilder der zerstörten Umgebung geklebt sind, um einen Eindruck zu verschaffen, wie die Sicht wohl gewesen wäre, hätte man überlebt. Überlebende gab es in diesem Gebäude ja nicht. Manche Exponate dort fand ich schon recht drastisch, grauenvolle Fotos natürlich, Überbleibsel, die man gefunden hat, auch menschliche Überreste dabei, Figuren mit herunterhängenden Hautlappen, das hat mich doch ehrlich etwas mitgenommen und eigentlich wollte ich das garnicht sehen. Aber andererseits ist es vielleicht tatsächlich die einzige Möglichkeit, dem Besucher das tatsächliche Grauen nahezubringen, was diese Verheerung angerichtet hat. Es gab auch wissenschaftliche Erklärungen und viel Information natürlich. Auch darüber, wie es im 20. Jahrhundert überhaupt weiter ging mit Atomwaffen, deren Testung und dem weltweit vorhandene Atomwaffenarsenal. Deprimierend. Drinnen, ein eindeutiger Appell zur atomaren Abrüstung, draußen, das Kenotaph als Scheingrab natürlich an zentraler Stelle im Gelände, architektonisch verbunden mit der ewigen Flamme. 




An anderer Stelle im Gelände steht die National Peace Memorial Hall, als weitere Gedenkstätte für alle Opfer, die dort mit Bild und Namen registriert werden können, dort konnte man Einsicht nehmen in Erlebnisberichte von Überlebenden, aus Tagebucheinträgen und Briefen, die in unterschiedlicher Form aufbereitet waren. Wirklich bewegend. Ich glaube, ähnlich gefühlt habe ich tatsächlich bisher nur nach meinem Besuch in Dachau. Es ist schon noch etwas anderes, jedenfalls für mich, an einem Ort zu sein, wo das Grauen tatsächlich war, als z. B. das Holocaustmahnmal in Berlin zu bewundern. Das finde ich zwar beeindruckend, aber berühren tut es mich nicht. 


Die Friedensglocke am Kinderdenkmal wird jedenfalls fleißig von den Menschen geläutet, die dort vorbei kommen und diese Millionen von farbigen Papierkranichen zu sehen, die von Kindern aus aller Welt nach wie vor gefaltet werden (die Geschichte hierzu kann man hier nachlesen, ich kannte sie vorher nicht, auf der Seite von Labbée ist dann gleich noch eine Faltanleitung dabei) und die dort ausgestellt sind, war schon bewegend. Die koreanischen Opfer haben ihr eigenes Denkmal erhalten und es gibt noch viel mehr einzelne Gedenkstätten im Gelände. 






Abends habe ich dann noch ein Weilchen auf den Stufen am Fluss gesessen und die Szenerie betrachtet, bevor ich mich dann durch das Gebiet der Haupteinkaufsstrassen auf den Weg zurück zum Hotel machte. 


Auch hier wieder alles überdacht übrigens. Das müssen mehrere Kilometer sein. Und dann erschöpft von den Eindrücken nach einer Nudelsuppe früh ins Bett, denn am nächsten Tag wartete ja der Ausflug nach Miyajima auf mich.




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