September 28, 2015

Yamaguchi

Vergangene Woche war hier in Japan die sogenannte Silver Week mit drei aufeinander folgenden Feiertagen. Da hatte ich schon lange den Plan, die beiden weiteren Tage Urlaub zu nehmen und die Zeit zu nutzen, eine andere Gegend Japans zu bereisen. Allerdings muss ich sagen, dass ich unterschätzt hatte, dass scheinbar ebenfalls die gesamte japanische Bevölkerung unterwegs ist und zu lange herum getrödelt, mir Gedanken zu machen, wo ich denn eigentlich hin wollte. Eins war klar, ein wenig weiter weg von Tokyo sollte es schon sein, damit sich die Woche auch lohnen würde. Hokkaido? Oder Kyushu? Soviel Möglichkeiten. Nachdem ein Kollege angeboten hatte, mir während der Woche ein wenig seiner Heimatstadt Hiroshima zu zeigen, durchforstete ich die Reiseführer, welche Orte in der Nähe denn noch interessant für einen Besuch sein würden und nachdem ich mich endlich entschlossen hatte, dass vielleicht Yamaguchi für ein paar Tage nach dem Aufenthalt in Hiroshima mein weiterer Standort sein sollte, um umliegende Orte zu besuchen, machte ich mich auf die Suche nach Unterkünften. Das war irgendwann zwischen Mitte und Ende August. 


Meine Güte, das artete wirklich in einen ungeahnten, stundenlangen Suchmarathon aus, im Laufe dessen ich mich schon die ganze Woche in Tokyo bleiben und von dort aus nur Tagesausflüge unternehmen sah. Alle Hotels in Hiroshima während der Feiertage ausgebucht. Kaum zu glauben. Auf keiner der einschlägigen Internetbuchungsseiten noch irgendetwas zu finden. Ein Problem auch, dass auf den japanischen Seiten oft zu Seiten verlinkt wurde, auf denen ich nichts lesen kann. Ihr seht, da ist das altbekannte "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil"-Thema schon wieder. Dann dachte ich ok, dann gehe ich im zweiten Teil der Woche nach Hiroshima, denn kaum waren die Feiertage vorbei, sah das Angebot buchungstechnisch doch nicht mehr so verheerend aus, aber auch in Yamaguchi konnte ich für die Feiertage selbst nichts mehr finden. Erst mit Hilfe einer Kollegin, die mir ein Hotel über eine japanische Seite ausfindig machte, konnte ich ein Zimmer in Shin-Yamaguchi buchen. Das Hotel sah einigermaßen vernünftig aus, dabei noch bezahlbar und sogar ein letztes Nichtraucherzimmer verfügbar. Da war ich schon so weit, dass ich eh fast alles genommen hätte, aber zunächst einmal gerettet. Das war mir eine Lehre und gleichzeitig mit diesen Buchungen kümmerte ich mich um die verlängerten Wochenenden Mitte Oktober und Ende November, an denen ebenfalls Feiertage liegen. Und auch bereits hier wieder ein ähnliches Problem. Mein Plan war Osaka als Standort, aber für Mitte Oktober nichts mehr, garnichts. Außer Zimmer in einer allerüblen Spelunke außerhalb der Stadt, Zimmer für über 100 Euro die Nacht in Mehrbettzimmern mit gemeinsamem Waschraum (kann ja lustig sein, aber brauche ich dann doch nicht), Capsulehotels (würde ich ja eigentlich gern mal testen) nur noch für Männer verfügbar, oder Zimmer für ab 1000 (!) Euro die Nacht aufwärts. Also Leute. Osaka hat laut Booking und anderen Portalen über 400 Hotels. Das darf doch nicht wahr sein. Auch im Norden nichts mehr. Tja. Nachdem ich also mehr oder weniger eine Woche damit beschäftigt war, Abend für Abend Hotels zu recherchieren (auch für den noch anstehenden "richtigen" Urlaub), war ich froh, als alle Entscheidungen und Reservierungen endlich bestätigt waren. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass das eigentliche Problem ist, das viele Zimmer nur mal so geblockt sind, von Reiseunternehmen (japanischen und ausländischen) und auch von vielen Leuten selbst, die erst kurz vorher stornieren. Echt ätzend, ich war ziemlich genervt. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber Ende gut alles gut, dann doch zu nächst nach Yamaguchi. Im Gegensatz zur Hotelbuchung war der Fahrkartenkauf für den Shinkansen geradezu ein Klacks. Auf diese erste richtig lange Zugfahrt freute ich mich richtig und so ging es vergangen Sonntag morgens mit der Yamanote Line wieder nach Shinagawa und von dort mit dem Nozomi (dem schnellsten der schnellen Züge, wenn schon denn schon) in knapp viereinhalb Stunden etwa 1000 km gen Westen. Der Shinkansen ist schon wirklich ein schöner Zug, vor allem mit viel Beinfreiheit (die Sitzreihen werden ja immer in Fahrtrichtung verschwenkt, der große Wendekreis macht wahrscheinlich den schönen Abstand notwendig, gut für mich), da könnte sich die Deutsche Bahn, mal abgesehen von der Pünktlichkeit hier, ein Scheibchen abschneiden. Aber es ist schon krass zu erleben, wie diese Züge tatsächlich mehr oder weniger im Drei- oder Vierminutentakt den Bahnhof verlassen, auch wenn man das in jedem Bericht über Japan lesen kann. Vielleicht geht es auch deshalb besser schlag auf schlag. Ein- und Aussteigen geht relativ flott von statten, die Züge waren auch nicht so voll wie bei uns teilweise oder es kam mir nur so vor, weil ich mir für die Hinfahrt einen Platz reserviert hatte. Das ist eigentlich auch praktisch geregelt hier, es gibt in jedem Zug Wagons, die komplett als nicht reserviert deklariert sind. So weiß jeder gleich, wo er hin muss. Spielt eventuell alles zusammen. So kam ich wie geplant am frühen Nachmittag nach einer Fahrt, die gegen Ende durch eine wirklich schöne Landschaft führte (hügelig, bewaldet, grün, viele Reisfelder, rote Blumen) in Shin-Yamaguchi an, lieferte meinen Koffer im Hotel ab (ich konnte sogar schon kurz ins Zimmer, obwohl ich zwei Stunden zu früh zum Check-in dort war) und machte mich gleich wieder auf den kurzen Weg zurück in den Bahnhof (das Hotel stand gleich daneben, sehr praktisch für alle notwendigen Verbindungen und wider Erwarten ohne nächtliche Geräuschbelästigung), um die etwa zwanzigminütige Strecke nach Yamaguchi zu fahren. Ich hatte auch Glück, der nächste Zug (die fahren natürlich vergleichbar wie bei uns auf den kleinen Nebenstrecken nicht so häufig), vielleicht ein-, zweimal in der Stunde im Mittel, fuhr zwanzig Minuten später. Zeit genug, sich ein Ticket zu kaufen und mit dem Fahrplan vertraut zu machen. Glücklicherweise ist wenigstens bei den Zeitplänen der Züge die Beschriftung der unten gegebenen Haltestellenübersicht auch in Latein vorhanden, so dass man sich einen Eindruck verschaffen kann, welcher Zug wann wohin fährt. Man muss halt ein bißchen suchen und Zeichen vergleichen, bis man die Zielhaltestellen gefunden hat, die im Zeitplan auf japanisch angegeben sind, aber das geht ja. Beim Busplan an der Haltestelle sah die Sache schon ein wenig anders aus, aber am Busticketschalter gab es dann auch wieder teilweise englisch beschriftete Information. Puh, was für ein Glück, ich glaube, vor zehn oder fünfzehn Jahren sah das "auf dem Land" noch etwas anders aus.


Mit einem roten, im Vergleich zum Shinkansen wie aus dem vergangenen Jahrhundert wirkenden Zug in Yamaguchi angekommen, konnte ich meiner Begeisterung über die zahlreichen unterschiedlichen Kanal- und sonstigen Deckel freien Lauf lassen. Soviele unterschiedliche auf wenigen Metern habe ich bisher noch nirgends gesehen. 







Der Ort hatte, obwohl nicht besonders groß, eine überdachte Art Fussgängerzone (scheinbar tagsüber für Autos gesperrt). Diese überdachten Straßen sollten mir in den kommenden Tagen auch in anderen Orten noch mehrfach begegnen, egal wie groß der Ort oder die Stadt war. Ob das etwas mit Sommerhitze und oder Regenzeit zu tun hat? Man stelle sich vor, die Schildergasse oder Neuhauser Strasse auf gesamter Länge überdacht, wobei die Einkaufstrassen hier dann nicht so breit waren. 





Der alte Kern von Yamaguchi war hübsch, klein und gemütlich, an einem Bach entlang, der von Kirschbäumen gesäumt ist, zwischendurch auch der ein oder andere Kakibaum, machte ich mich auf den Weg zur berühmten fünfstöckigen Pagode, die zu den Nationalschätzen Japans zählt und im frühen 15. Jahrhundert erbaut wurde. Wunderschön, wie sie da an einem kleine Teich mitten im Grünen steht. Just an diesem Abend war eine Art Lichterfest im Ort, am ganzen Bachlauf entlang waren bereits Rohre aus Bambus gesteckt und auf den Wegen und Stegen Teelichter verteilt, die bei Eintritt der Dunkelheit angezündet werden sollten. Da freute ich mich schon auf den Rückweg. Am Bachlauf entlang unzählige rote Blumen, die mir schon auf der Fahrt mit dem Shinkansen aufgefallen waren. Vor allem an und in den Reisfeldern (im Filmchen schemenhaft zu erkennen), aber auch an Waldrändern. Die rote Spider Lily, die hier in Japan als Higanbana "Jenseitsblume" bezeichnet wird, habe ich mir sagen lassen. Nicht, weil sie etwas mit dem Tod zu tun hat, sondern weil sie vor allem um die Zeit der Tag- und Nachtgleiche blüht und damit den Herbst ankündigt. Sie sieht ein bißchen den Nerinen ähnlich, die man bei uns manchmal als Schnittblumen bekommt, also wohl ein Amaryllisgewächs. Da könnte man Blumensträuße pflücken!
Beim Tempel und der Pagode erwartete mich ein ähnliches Bild im Hinblick auf Blumen und Kerzen. 







Hier schon mehr Leute und viele Kinder, die geschäftig hin und her rannten, Gläser verteilten, mit Wasser und Schwimmkerzen füllten. Eine Sängerin trällerte französische Chansons und auch japanisch sprachige Lieder und zahlreiche Fotographen brachten ihre Stative in Stellung, um die dann abends im Dunklen ebenfalls beleuchtete Pagode zu fotographieren. Glück muss der Mensch haben. Meine Bilder gerade vom Weg zurück am Bach sind jetzt nicht so prächtig geworden, aus der hohlen Hand geschossen, aber Hauptsache eine Erinnerung. Und ich konnte auch nicht so lange bleiben, um den Zug zurück nach Shin Yamaguchi zu erwischen und weil ich am anderen Morgen auch relativ früh raus wollte, um den Bus um 8.30 Uhr nach Hagi zu erwischen. Wer noch ein paar mehr Bilder aus Yamaguchi sehen möchte, die sind wieder hier hochgeladen.





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